Nachbericht: 16. ElektronikForum OWL - Ganzheitliche zirkuläre Produktentstehung für Intelligente Technische Systeme

Leopoldshöhe, 24.05.2023
Die umweltorientierte Produktverantwortung der Elektronikhersteller war bislang begrenzt, was sich durch die neue EU-Gesetzgebung verändern wird. Aus der Entwicklung vom linearen Produktlebensweg hin zur Kreislaufwirtschaft ergeben sich zwei globale Zielstellungen in der Produktentwicklung: erstens Langlebigkeit (robust, reparaturfähig, upgradefähig) und zweitens Reuse und Recycling (ohne Abfälle). Damit wird das Elektronik-Produktdesign anspruchsvoller und es können wirtschaftliche und technische Zielkonflikte entstehen. Unternehmen müssen diese Zielkonflikte durch ökologisch begründete Designentscheidungen und Lebenszyklusorientierte Geschäftsmodelle managen. Über das Projekt „Ganzheitliche zirkuläre Produktentstehung für intelligente technische Systeme (ZirkuPro)“ hat das Unternehmen CP contech electronic GmbH aus Leopoldshöhe Schritte und Aktivitäten gestartet und berichtete über erste Ergebnissee, Prozesse und Erfahrungen. 

Die CP contech electronic GmbH begleitet ihre Kunden als Lösungsanbieter von der ersten Produktidee bis zur Serienfertigung sowohl in der Hard- als auch in der Softwareentwicklung. Eine eigene Elektronikfertigung ermöglicht eine Produktion von der Klein- bis zur Großserie. Geschäftsführer Dr. Christian Hensen stellte vor, wie für die Produktentwicklung die Spezifikationstechnik CONSENS (CONceptual design Specification technique for the ENgineering of complex Systems) angewendet wird. Mechatronische Produkte und ihre Entwicklungsprozesse sind aufgrund des Zusammenwirkens beteiligter Fachdisziplinen komplex. Häufig gelingt es nicht, ein einheitliches Systemverständnis zu erzeugen. Hohe Abstimmungsaufwände, späte und kostenintensive Änderungen sind die Folge. Den Kern der CONSENS Methodik bildet die fachdisziplin-übergreifende Beschreibung der Produktkonzeption. Sie umfasst die acht Aspekte: Umfeld, Anwendungsszenarien, Anforderungen, Funktionen, Wirkstruktur, Verhalten-Zustände, Verhalten-Aktivitäten sowie Gestalt. Das Zusammenspiel der Aspekte wird in der Prinziplösung abgebildet. Sie ergibt ein konsistentes Gesamtbild des zu entwickelnden Systems und fördert ein gemeinsames Systemverständnis. 

Dr. Christian Hensen, Geschäftsführer CP contech electronic GmbH, erläutert die CONSENS Spezifikationsmethodik.
Bild: InnoZent OWL e.V.

Wie dies in der Praxis umgesetzt wird, konnte bei einer spannenden Führung durch die Produktion besichtigt werden.

Inga Fischer stellt die Produktionslinie zur vollautomatisierten Leiterplattenbestückung vor.

Bild: Innozent OWL

Ein spannender Rundgang durch die Produktion der CP contech electronic GmbH.

Bild: Innozent OWL

Christoph Pierenkemper gab einen Einblick in erste Erfahrungen aus dem Projekt ZirkuPro zur zirkulären Produktentstehung für intelligente technische Systeme. 

Christoph Pierenkemper, Assistent der Geschäftsführung, stellte erste Erfahrungen aus dem ZirkuPro Projekt zur zirkulären Produktentstehung für intelligente technische Systeme vor.
Bild: InnoZent OWL e.V.

So werden zwei Produktlebenszyklen für ein eigenes Produkt entwickelt – zuerst mit Fokus auf die effiziente Gestaltung von Reparaturdienstleistung gefolgt durch einen zweiten Zyklus der Umfunktionierung bzw. des Repurposes. Die Motivation besteht insbesondere darin, dass es für dieses Produkt einen voraussichtlichen neuen Markt geben wird und eine kostenoptimierte modulare Lösung entwickelt werden soll. Zielsetzung ist, ein Produkt für eine breite Nutzung zu designen. Auch fragen Kunden zunehmend nach dem CO2 Abdruck von Produkten. In der Produktentwicklung wird ein sogenannter Circularity Readiness Check durchlaufen, der einen Abgleich zwischen dem Status Quo und einem Zielbild vornimmt und somit einen zirkulären Reifegrad ermittelt. Neue Geschäftsmodelle werden auf Grundlage von Business Modell Canvas Ansätzen entwickelt, die eine schnelle Ersteinschätzung ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist eine quantifizierbare Analyse des Nachhaltigkeitsbeitrags. 

Entwicklung zirkulärer Geschäftsmodelle für zwei Produktlebenszyklen 
Bild: CP contech electronic GmbH 

In der anschließenden facettenreichen Diskussion wurde deutlich, dass eine Rücknahme von Produkten schwierig ist, da die Besitzer am Lebensende eines Produktes häufig nicht die direkten Kunden oder Distributoren sind. Manche Rücknahmeprozesse scheitern schon allein an der fehlenden Lagerfläche. Häufig fehlen noch Konzepte zur Monetarisierung der Rückführung. Kontrovers diskutiert wurde auch, ob erst die Produktentwicklung oder das Geschäftsmodell stehen sollte und ob Produkte im Hinblick auf eine breite oder eine spezifische Nutzung designt werden sollten, da alle erweiterten Funktionen mit einem zusätzlichen Prüfaufwand verbunden sind. Bei ReUse Verfahren ist auch die Qualitätssicherung aktuell noch problematisch. 
Eine weitere Frage war, was zielführender ist - am Ende des Verfahrens die Recyclingprozesse zu optimieren oder zu Beginn das Design zu verändern, um den weiteren Prozess zu vereinfachen? Auch die vorzeitige Obsoleszenz spielt bei Elektronikprodukten immer noch eine Rolle. Solange Leiterplatten aus Fernost bezogen werden, hat der CO2 Ausstoß für den Transport eine Auswirkung, auch wenn dieser bezogen auf das Produkt eher gering ist. 
Elektronik ist zwar in den letzten Jahren immer effizienter geworden und hat immer noch große Effizienzpotentiale, aber es wird weiterhin linear gedacht und der Preis ist entscheidend. Effizienz kann die Geschwindigkeit des Klimawandels verlangsamen, ändert aber nicht notwendigerweise die Richtung. Sollen Effekte erreicht werden, ist es notwendig, Interdependenzen zu verstehen und Ergebnisse und Veränderungen durch Messdaten zu quantifizieren. 
Kritisch gesehen wurde, dass es nach wie vor viele bürokratische Hürden gibt und zu wenig erfolgreiche Geschäftsmodelle in der Praxis. Andererseits waren auch die Cloudmodelle am Anfang defizitär und sind erst im zeitlichen Verlauf mit ihrer Vorreiterfunktion erfolgreich geworden. Letztlich erfordert das Denken in Stoffkreisläufen auch neue Arten von Bilanzen. 

Elektronikhersteller, Wissenschaft, Forschung und Multiplikatoren diskutieren Chancen und Risiken einer zirkulären Elektro(nik)entwicklung. 
v.l.: Holger Feikes, EMSLAND GmbH - MEMA Metall- & Maschinenbaunetzwerk; Christoph Pierenkemper, CP contech electronic GmbH; Christian Gieselmann, insensiv GmbH; Inga Fischer, CP contech electronic GmbH; Patrick Spanier, Technische Hochschule OWL; Prof. Dr.-Ing. Ulrich Rückert, Universität Bielefeld; Dr.-Ing. Marc Hesse, Universität Bielefeld; Ulrike Künnemann, InnoZent OWL e.V.; Dr. Christian Hensen, CP contech electronic GmbH; Thomas Rollmann, Rollmann Elektronik; Dr. Christian Hedayat, Fraunhofer ENAS; Thorsten Krüger, CTDI Schloss Holte GmbH; Roland Heß, OWITA GmbH; Dr.-Ing. Sebastian Gerke, Phoenix Contact GmbH & Co. KG; Ralf Neuschl, SoMAPP/TPPM GmbH; Jens Oppitz, Jung Pumpen GmbH; Raphael Thiele, insensiv GmbH; Jürgen Kutter, InnoZent OWL e.V.; Stefan Risse, SRG Elektronik GmbH; Martin Jedral, Kingspan STG Beikirch GmbH; Bernd Engelage, CP contech electronic GmbH
nicht im Bild: Mark Edler, Weidmüller Gruppe & Michael Kemkes, InnoZent OWL e.V.
Bild: InnoZent OWL GmbH 

Eine gemeinsame Veranstaltung von InnoZent OWL e.V., dem Mittelstand-Digital Zentrum Ruhr-OWL und owl maschinenbau e.V.

Das Mittelstand-Digital Zentrum Ruhr-OWL gehört zu Mittelstand-Digital. Mit dem Mittelstand-Digital Netzwerk unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen und dem Handwerk.

 

Die nächste Veranstaltung im Rahmen des ElektronikForums OWL findet am Mittwoch, 29.11.2023 von 14-17 Uhr bei der Weidmueller Interface GmbH & Co. KG in Detmold statt: Wie Life Cycle Assessment bzw. Product Environmental Profiles für Elektro(nik)produkte eine nachhaltige Produkttransformation ermöglichen

Über das Elektronikforum OWL:
Um Akteure aus Industrie, Forschung und Wissenschaft besser miteinander zu vernetzen, startete InnoZent OWL im Mai 2018 das Elektronikforum OWL. Es bietet eine Plattform für eine Gruppe, die sich ca. 3mal pro Jahr zu den folgenden Punkten austauscht: Sichtung und Bewertung von neuen Trends und Entwicklungen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, u.a. hinsichtlich einer Circular Economy und Nachhaltigkeit; Potentiale und Anforderungen neuer Anwendungsfelder; Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie neuer Geschäftsmodelle; Förderung und Ausbau der Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen und dem Austausch untereinander. Die Teilnahme ist kostenfrei und neue Interessentinnen und Interessenten sind herzlich willkommen.
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